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Freitag, 2. November 2012

Sandy war hier

Okay, das ist verdammt blöd gelaufen.

Meine Prognose eines "kräftigen Herbststurms" war dann wohl doch ein bißchen tief gegriffen, obwohl die vorhergesagten Windgeschwindigkeiten und meine letztjährigen Erfahrungen mit Irene diese Prognose stützten. Nun, sei's drum.

Hier ein kurzer, teils stenographischer Lagebericht:
Auch vier Tage nach dem Sturm und dem Beginn des Stromausfalls habe ich noch immer keine Elektrizität. Also kein Licht, keinen Kühlschrank, kein Gefrierfach, kein Internet, kein Telefon, keine Heizung. Zum Glück hat unser Haus einen Generator, der die Aufzüge, die Flurbeleuchtung und die Wasserversorgung am Leben erhält. In der Lobby unseres Gebäudes gibt es eine Steckdose, die ebenfalls vom Generator versorgt wird und an der jetzt eine Mikrowelle, ein Wasserkocher und zwei Dutzend Laptops, Handys und andere Gadgets der Hausinsassen hängen. Ich warte stündlich auf den Kabelbrand.

Dank dieser Steckdose kann ich mein Handy am Leben erhalten, was mir rudimentären Zugriff auf die Außenwelt (Internet, dienstliche Emails) ermöglicht. Das mobile Internet ist ein wenig bröselig, hat zeitweise Aussetzer, aber funktioniert angesichts der Situation hier erstaunlich gut.

Strom soll in zwei, spätestens drei Tagen wiederhergestellt sein, heisst es von Seiten des Versorgers PSE&G. Fast alle um uns herum haben bereits seit Mittwoch wieder Saft, nur unser Block hier nicht (und ein paar weitere Blocks westlich von uns). Super Sache. Immerhin haben wir seit Donnerstag nachmittag wieder warmes Wasser. Das war für mich auch der Auslöser, mich von meinen bis dahin gehorteten strategischen Klospülungs-Wasserreserven in der Badewanne zu trennen und endlich wieder zu duschen.

Insgesamt ist es für uns vergleichsweise glimpflich abgelaufen. Bei uns am Gebäude gibt es, soweit ich das beurteilen kann, keine Schäden. Hatten auch keinen Wassereinbruch, obwohl wir direkt am Hafen liegen. Einen meiner Kollegen hat es schlimmer erwischt: der hatte zwar zu keiner Zeit Stromausfall, allerdings hat eindringendes Wasser die Elektronik der Fahrstühle zerstört. Doof, wenn man im 25. Stock wohnt, ein kleines Kind hat und jetzt Treppen steigen darf. Macht 'n schlanken Fuß.

Ein anderer Kollege, der etwas weiter nördlich in Hoboken wohnt, konnte erst am Donnerstag seine Wohnung wieder verlassen und war bis dahin vom Wasser eingeschlossen. Er ist jetzt mit seiner Familie bei Freunden untergebracht.

Wenn ich hier in Jersey City durch die Straßen gehe, kann ich insgesamt keine größeren Schaden ausmachen. Das "Verheerenste", was ich gefunden habe, ist eine zerstörte, hölzerne Fußgängerbrücke, die über die letzten Ausläufer unseres Hafens direkt in den benachbarten Park führte. Allerdings war die Brücke schon vorher alterskrank und windschief, so dass ihr Ableben durch Sandy nicht gänzlich unerwartet kommt. Doof nur, dass ich jetzt einen Umweg von zwei, drei Kilometern machen muss, um in den Park zu kommen. Aber zum Glück ist der Sommer ja erstmal vorbei.

Ein weiterer größerer Schaden betrifft einen Abschnitt des "Hudson River Walkways", eines aus Holzplanken bestehendes Flanierweges entlang des Hudsons. Den hats auf ein paar Hundert Metern komplett zerrissen.

Der Rest ist das Übliche: vollgelaufene Keller, Treibholz, Schlamm, in die Straßen gespültes Geraffel, entwurzelte Bäume.

Wie es in Manhattan aussieht, wisst ihr vermutlich besser als ich, weil ich in den letzten Tagen kaum Nachrichten verfolgen konnte. Ich habe nur heute gelesen, dass die Armee mittlerweile Essen ausgibt. Oh, und beträchtliche Teile der Skyline sind noch immer dunkel. Um ehrlich zu sein, ist das ein für mich schon fast verstörender Anblick: die Südspitze ist dunkel, dann ist es rauf bis zur ca. 10 Straße hell, dann bis zur ca. 30. Straße STOCKDUNKEL und dann wieder hell. Zumal sich der dunkle Teil gegen das Streulicht der hellen Teile noch besonders finster abzuheben scheint. Ich hab da minutenlang mit offenem Mund vorgestanden. Das sieht einfach falsch aus. Wie ein zerstörtes Wahrzeichen. So als hatte die Freiheitsstatue einen Sturmschaden (hat sie nicht).

Als guter Beinahe-Tourist habe ich, nachdem ich mein Staunen überwunden hatte, natürlich Bilder gemacht. Die reiche ich nach, ist beim Bloggen via Handy ein bißchen umständlich.

Richtig schlimm getroffen hat es die Verkehrssysteme, weil alle Tunnel vollgelaufen sind. Soweit ich das überblicken kann, fährt seit heute die U-Bahn in Manhattan teilweise wieder. Die Anbindung nach Brooklyn und Queens ist aber wohl noch ausgefallen, weil die Tunnel unter dem East River noch geflutet sind.

Verheerend hat es die Bahn zwischen New York und New Jersey (PATH) getroffen, mit der ich immer zur Arbeit fahre. Habe ein paar Bilder gesehen: die Tunnel sind offenbar vollständig vollgelaufen. Bis unters Dach. Das Wasser stand in den Stationen (höchster Punkt im Tunnelsystem) bis knapp unter die Bahnsteigkante. Und ein PATH-Mitarbeiter kommentierte: so zieht sich das fünf Meilen durch bis auf die andere Seite des Hudsons. Außerden sei die gesamte Elektrizitätsverteilung und die Signaltechnik defekt. Wenn ihr mich fragt: so schnell fährt da nichts wieder.

Die Autotunnel zwischen New York und New Jersey sind mittlerweile wieder freigegeben. Der Hollandtunnel darf allerdings nur von Bussen genutzt werden und der zweite Tunnel, der Lincoln-Tunnel, nur von PKW, die mit mindestens drei Personen besetzt sind. Das Chaos vor den Tunneln möchte ich mir gar nicht ausmalen.

Für mich gibt es de facto gerade keine Möglichkeit, nach Manhattan reinzukommen. Der einzig verbliebene Weg, die Fähren, ist total überlaufen. Und die öffentlichen Busse, die durch den Hollandtunnel fahren, ebenfalls. Nur mal so zum Vergleich: die PATH transportiert täglich ca. 250.000 Passagiere. Das kann man nicht durch ein paar Busse und Fähren auffangen.

Ich bleibe daher erstmal zuhause und mache so gut es geht Heimarbeit.

Ein Auto würde mir auch nicht helfen, weil der Sprit langsam knapp wird. Es gibt sogar Berichte von gewalttätigen Auseinandersetzungen an Tankstellen, so dass die Polizei eingreifen muss.

Mein in fußläufiger Entfernung liegender Supermarkt hat zum Glück wieder geöffnet. War dort bereits einkaufen. Die Leute saßen dort in den Gängen, um sich aufzuwärmen und um ihre Handys wieder aufzuladen. Noch sahen die Reserven im Supermarkt relativ gut aus. Allerdings weiß ich nicht, ob der gerade von Lagerbeständen lebt oder auch mit neuen Waren beliefert wird. Wenn der keine Neuware bekommt, dürfte es hier in ein paar Tagen sehr, sehr übel aussehen. Das ist für mich persönlich gerade das größte Risiko (habe noch für ca. 2 Tage Futter).

Soweit erstmal mein Update zur aktuellen Lage. Melde mich wieder, wenn ich endlich wieder Strom habe (in der Hoffnung, dass damit auch das Internet wieder funktioniert).

Ach so: habe z. Zt. keinen Facebook-Zugriff. Als bitte nicht wundern, wenn ich auf Kommentare oder Nachrichten nicht antworte...

2 Kommentare:

  1. mensch Volker, gut mal was von dir zu hören, im IRC bist du ja nicht antreffbar aufgrund der Situation.

    Aber nun ist die ganze Infrastruktur baden gegangen, teil sind ganze Stadtteile weggespπult (weiter ab der großen häuser.

    Das wird Latrina wohl übertreffen.

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  2. Hej Volker!

    Schön zu hören, dass du deinen Optimismus und Humor nicht verloren hast!!! Durchhalten.

    LG Mone

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