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Freitag, 18. Januar 2013

Manche mögens gelb

Ja, ich weiß. Sich über die handwerklichen Künste der Amerikaner lustig zu machen, ist wie Kinder zu schlagen oder Behinderte zu treten. Hab ich ja in der Vergangenheit auch schon ausgiebig getan, z. B. in meiner Low-Tech-Land-Reihe. Also das Lustigmachen, nicht das Schlagen oder Treten. Trotzdem muss ich jetzt aus gegebenem Anlass nochmal Salz in die Wunde streuen, auch wenn es weh tut.

Der Auslöser ist der von allen Betroffen mit viel Beifall aufgenommene Entschluss unserer Firma (oder unseres Vermieters; das weiß ich nicht genau), unsere doch mittlerweile recht verranzten Toilettenräume endlich zu renovieren. Seit ich in New York bin, war der Zustand der Toilettenräume immer mit Abstand die Nummer Eins bei den regelmäßigen (Un-)Zufriedenheitsumfragen unter den Mitarbeitern. Mir selber war es schon immer peinlich, externen Gästen die Räume überhaupt zu zeigen. Lieber bin ich mit denen auf einen Kaffee runter zu Starbucks und hab denen dann empfohlen, diese Gelegenheit für einen kurzen Boxenstopp auf der Starbucks-Toilette zu nutzen...

Ende November erfuhren wir dann, dass nun alles besser wird und noch im Dezember die Räume von Grund auf renoviert werden. Nun denn, schauen wir uns mal das Ergebnis an:

Als erstes drängt sich die Frage auf, wer um Himmels willen für das Farbkonzept der neuen Räume zuständig war. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten, aber dennoch sind sich meine Kollegen und ich dahingehend einig, dass Urin-Gelb keine geeignete Farbe für Toilettenräume ist:

Der Rest scheint auf den ersten Blick - aber auch nur (!) auf den ersten Blick - ganz okay. Zu den Waschtischen kann ich mir noch kein endgültiges Urteil erlauben, weil es sich bislang um Provisorien handelt. Der Grund: die neuen Waschbecken sind extra für uns handgefertigte, mundgeblasene Einzelstücke (hört! hört!). Mit mittlerweile vier Wochen Lieferverzug.

Nach dem ersten Farbschock tritt Mann, von der gelben Wand an den eigentlichen Grund des Aufenthalts in diesem Raume gemahnt, als nächstes an die Urinale. Und fragt sich unwillkürlich, welche Zwerge für die Planung und Installation der sanitären Anlagen zuständig waren. Die Urinale hängen nämlich viel zu tief. Ungefähr auf der Höhe, wo man die manchmal anzutreffenden Kinderurinale erwartet:


Der Eindruck auf dem Bild mag täuschen, weil die Proportionen schwer abzuschätzen sind. Aber vielleicht helfen euch die Breite der Fliesen (ca. 20 cm), die Größe des Mülleimers oder die Info, dass die Oberkante der Urinale bei mir ungefähr eine handbreit unter der Hüfte ist. Für Zwerge eben.

Der diensthabende Zwerg war auch gerade so schön in Fahrt, dass er gleich noch den Lichtschalter zu tief gesetzt hat (muss mich fast danach bücken) und die Höhe der Türklinke ebenfalls sehr "kindgerecht" ausgefallen ist. Zur Orientierung diene wieder der Mülleimer neben der Tür.

Betritt man eine der Kabinen, erwartet einen das nächste Zeugnis der langen Tradition höchster Handwerksqualität in den USA: die Scharniere:


Ein Kollege sagte so schön: "Solche Scharniere hätte ich nicht mal im Inneren einer grob zusammengezimmerten, dunklen Holzhütte im Garten eingebaut.". Die Dinger sind riesengroß, potthässlich und im Schnitt werden nur ca. 30% der verfügbaren Bohrungen verwendet. Allerdings habe ich bei der Auswahl der verwendeten Bohrungen kein System ausmachen können. Denn manchmal passen die Bohrung im Scharnier und in der Wand einfach nicht zusammen...


... während in anderen Fällen die Bohrungen in der Wand schlicht fehlen...


... oder durchaus passende Löcher ohne Schraube bleiben:


Die Bilder stammen übrigens alle von ein und demselben Scharnier! Ich habe hier kein Best-Of aller Scharniere zusammenkopiert!

Bemerkenswert sind neben den Scharnieren auch die Spiegel. Wie ihr auf dem ersten Bild am Anfang des Artikels sehen könnt, besteht die Spiegelfläche aus mehreren Teilspiegeln. Und selbstverständlich sind die einzelnen Spiegel nicht miteinander bündig montiert:


Oh, und wo wir gerade an den provisorischen Waschbecken stehen: nach nur zwei Tagen Gebrauch hat die Halterung eines Seifenspenders bereits aufgehört, den beim Drücken des Spenders auftretenden Kräften und Momenten erbitterten Widerstand zu leisten, und löst sich langsam aus der Wand:



Ein weiteres Highlight wären dann noch die Spülungen:
  • Die Spülungen der Urinale waren anfangs so eingestellt, dass bei jeder Spülung ein großer Schwall Wasser über den Rand des Urinals auf den Boden schwappte. Da die Spülung automatisch via Lichtschranke ausgelöst wird, war es also ratsam, sich durch einen kühnen Sprung nach hinten vom Urinal zu entfernen, um keine nassen Füße zu bekommen.
  • Bei den Toiletten löst die Spülung gerne mal unvermittelt aus, während man sich noch "in Sitzung" befindet. Wenn man beim Klacken des Ventils nicht sofort aufspringt, kann das eine ebenso kalte wie feuchte Dusche an sehr privaten Körperteilen nach sich ziehen.

Insgesamt dauert der Umbau - abzüglich Weihnachtspause - nun schon ca. fünf Wochen. Für zwei Toilettenräume. Entkernen, neu fliesen, neue Leichtbauwände rein, neue Sanitär- und Elektroinstallation. Ich bin kein Experte, aber mir kommt das arg lang vor. Und das wurde nicht nebenbei in Teilzeit von einem rüstigen Rentner gemacht, sondern von drei bis vier mittelalten Hispanos, die Vollzeit daran gearbeitet haben. Natürlich alles inklusive offizieller Genehmigung vom Staate New York, haufenweise Plänen ettcetera, ettcetera...

So, zum Abschluss vielleicht noch ein Bild, das die ganze Absurdität des US-Einheitensystems aufzeigt. In der Welt der Inches, Gallonen und Quadratfüße (letzteres ist eine übliche Einheit zur Angabe von Wohnflächen und nicht etwa ein Fall für den Orthopäden) wird, wie ich lernen musste, Abfall in Kubikyard gemessen. So stand es jedenfalls auf dem kleinen Container, in dem unsere fleißigen Umbau-Bienchen ihren Schutt abtransportiert haben:


Wenn ihr mich fragt: dann doch lieber urin-gelbe Wände als derartig kranke Maßeinheiten...

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