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Mittwoch, 21. Dezember 2011

Fluchreise

Es ist eine denkbar schlechte Idee, in der Vorweihnachtszeit von New York nach Frankfurt zu fliegen, so wie ich es letzten Donnerstag / Freitag getan habe. Die Touri-Quote unter den Passagieren ist dieser Tage nämlich signifikant erhöht, was den Flug nicht eben entspannender macht. Zumindest nicht in der Economyklasse.

Beispielsweise wurde ich in noch keinem Flug soviel angerempelt wie in der letzten Woche. Dazu muss man wissen, dass ich wie immer einen Gangplatz hatte, der es mir erlaubt, meine Beine ein wenig in den Gang zu strecken und im Bedarfsfall meinen Sitzplatz zu verlassen, ohne andere Passagiere aufzuscheuchen. Dass auf dem Gang auch ab und zu etwas Betrieb ist, nehme ich dafür gerne in Kauf.

Auf diesem Flug scherten sich die meisten Passagiere allerdings einen Dreck darum, ob sie die Köpfe, Schultern oder Ellenbogen Mitreisender anrempelten, wenn sie sich ihren Weg durch das Flugzeug bahnten. Die Rempler wurden vorzugsweise mit dem Bauch oder dem Hintern verteilt; beide Körperteile waren übrigens häufig in wirklich stattlichen, ehrfurchtgebietenden Größen an Bord vertreten.

Ebenso häufig anzutreffen war blanke Unvernunft. Ich habe es mehrmals erlebt, dass auf dem Gang gerade Stau war, weil sich mehrere Passagiere mitsamt ihrer immensen, in Bauchform mitgeschleppten Nahrungsmittelreserven ineinander verhakelt hatten. Aber itzt in einer solchen Situation muss dann aber noch ein weiterer Passagier aufspringen und sich durch den sklerotisch verengten Gang pressen um sich unbedingt jetzt sofort ein Glas Wasser zu holen. Wahrscheinlich hätten schwere körperliche Schäden gedroht, wenn sich der Betreffende sein Wasser auch nur eine Minute später geholt hätte, nämlich nachdem sich der Stau aufgelöst hätte. Aber so etwas hätte Mitdenken und Umsicht verlangt und darf daher nicht vorausgesetzt werden.

Ähnlich rücksichtslos verhielt sich auch der hinter mir sitzende Passagier. Immer wenn er auf Zehenspitzen versuchte, etwas aus unserem gemeinsam genutzten Gepäckfach zu wühlen, drückte er mir -- höflich ausgedrückt -- seine Körpermitte mehr oder weniger ins Gesicht, so dass mir nur die Flucht auf den Schoß des Sitznachbarn blieb. Kein "Entschuldigung", kein einleitendes "Dürfte ich mal eben...", nichts. Das lässt nur zwei Schlüsse zu: entweder hält er es für selbstverständlich, dass Mitreisende unbedingt Bekanntschaft mit dem Reißverschluss seiner Hose machen möchten. Oder die Dumpfbacke ist sich in ihrer Beschränkheit der anderen Mitreisenden gar nicht bewusst.

Eine seltsame Einstellung gegenüber Mitreisenden hatten auch die Erzeuger der drei in meinem Bereich mitreisenden kleinen Kinder. Offenbar war den betroffenen Eltern nämlich die familiäre Weihnachtsshoppingtour in New York samt (Klein-)Kind und Kegel ausgesprochen wichtig. Wichtiger jedenfalls als der Umstand, dass die drei Kinder durch ihr Geplärre mühelos die ca. 180 um sie herum sitzenden Passagiere vom Schlafen abhielten. Auf einem Nachtflug. Bei allem gebotenen Respekt muss man sich doch fragen, ob man Kindern und anderen Passagieren eine solche Reise unbedingt zumuten muss. Interessant war lediglich, wie die Kinder zwischenzeitlich ihre Strategie umschalteten: zeitweise operierten sie in Mitkopplung (gleichzeitiges Plärren mit dem Versuch, die Konkurrenz zu übertönen) um etwas später in ein ressourcenschonendes Multiplex-Verfahren zu wechseln (nur jeweils ein Kind plärrt für ein paar Minuten, danach übernimmt nahtlos ein anderes).

Die Sitzreihe vor mir wurde durch vier nicht mehr ganz junge und nicht mehr ganz schlanke Damen der Kategorie "Kegelclub" bevölkert. Laut schnatternd fielen sie als einige der letzten Passagiere ins Flugzeug ein und stellten betroffen fest, dass die Gepäckablagen bereits gut gefüllt waren und offenbar keinen Platz mehr für ihr Handgepäck boten. Darüber tauschten sie sich dann lautstark quer durchs Flugzeug aus. Mehrere Minuten. Hilflos wie vier Analphabeten beim Vorlesewettbewerb standen sie in den Gängen, wussten nicht, was sie tun sollten und waren ob der überfüllten Gepäckablagen überzeugt, dass das Ende der Welt unmittelbar bevorstehe. Auf dem Höhepunkt ihrer Verzweiflung erbarmte sich eine Flugbegleiterin, schob das Gepäck der Mitreisenden etwas zusammen und verstaute die Koffer der Kegeldamen mühelos in den umliegenden Gepäckfächern.

Ich könnte noch mehr berichten... von dem ruppigen Umgangston vieler Passagiere, von den Müllbergen, die nach der Landung auf dem Fußboden zurückblieben, von der Tatsache, dass einige Passagiere immer genau dann Wasser wollten, wenn die Flugbegleiterin mit dem Müllwagen durch die Gänge schob (und umgekehrt), von der Unwilligkeit einiger Passagiere, ihre Lehne nur für wenige Sekunden senkrecht zu stellen, damit der Hintermann sein Tischchen ausklappen kann, von plump-dreisten Anmachversuchen gegenüber der Flugbegleiterin etc. Mach ich aber nicht, ist nicht gut für meinen Blutdruck.

Zusammenfassend kann man sagen, dass ich noch nie eine Flugzeugladung so unruhiger, unbedachter, rücksichtsloser, egozentrischer Passagiere angetroffen habe wie auf meinem letzten Flug. Zugegebenermaßen habe ich noch nie in einem Ballermann-Bomber auf dem Weg nach Mallorca gesessen. Mir fehlt auch die Erfahrung mit irgendwelchen Touri-Transfers nach Thailand. Von daher muss ich mich vielleicht noch an längere Flugreisen mit zumeist nur rudimentär sozialisierten Passagieren gewöhnen. Allerdings habe ich damit keine Eile und hoffe einfach, dass auf dem Rückflug nach New York Anfang Januar der Touri-Tsunami über die Flugzeuge hinweggeschwappt und abgeebbt ist.

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