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Sonntag, 8. April 2012

Don't Pay The Ferryman

Geographisch bzw. topologisch befinde ich mich in einer misslichen Lage. Ich wohne zwar nur 1,9 km Luftlinie von Manhattan entfernt, aber davon sind 1,8 km Wasser. Unschön.
Vor allem wenn man wie ich mit dem Gedanken spielt, mal ab und zu mit dem neuen Rad zum Arbeitsplatz auf der anderen Seite des Wassers zu fahren. Zwar darf man grundsätzlich Fahrräder mit in die Bahn nehmen, mit der ich täglich den Hudson unterquere ("PATH"). Die Mitnahme ist sogar kostenlos. Aber leider ist die Mitnahme während der werktäglichen Rushhour nicht gestattet, weil die Oberbahnies nicht ganz unrichtig argumentieren, dass Fahrräder die auf Presspassung basierende Befüllung der Züge zu den Pendler-Stoßzeiten zu sehr behindern. Argumentation nachvollziehbar, aber -- ich wiederhole mich -- unschön.

Es müssen also andere Wege her.

Grundsätzlich stehen zur Querung des Hudson zur Verfügung:
  • PATH-Bahn (nur bedingt geeignet, s. o.)
  • Lincoln-Tunnel und Holland-Tunnel (für Fahrräder verboten)
  • George Washington Bridge (ein beeindruckendes Bauwerk, bin ich bereits einmal per Rad drüber. Der Blick über das Hudson-Tal ist atemberaubend. Ist mir mal einen eigenen Artikel wert. Liegt leider sehr weit nördlich und hat keine vernünftige Zubringerstraße auf der Jersey-Seite, auf der man als Radfahrer keine Todesängste haben muss)
  • Diverse Fährdienste (teuer, knapp unter $10 pro Weg. Kann man mal machen, aber nicht als regulären Arbeitsweg)
  • Die Bayonne Bridge in Verbindung mit der Staten Island Ferry (Ha! Beide fahrradgeeignet und kostenlos!)
Die Bayonne Bridge verbindet New Jersey mit der Manhattan vorgelagerten Insel "Staten Island", von der aus die gleichnamige Fähre eine Verbindung nach Manhattan herstellt. Genau diesen Weg habe ich am Ostersamstag mal erkundet, um zu schauen, ob er für gelegentliche Fahrradfahrten zur Arbeit taugt. Auf der Karte stellt sich die Tour wie folgt dar:

Karte: Open Streetmap
Ich bin die Strecke entgegen dem Uhrzeigersinn gefahren, also zunächst ein ganzes Stück nach Südwesten durch Bayonne, dann über die Bayonne Bridge, dann in östlicher Richtung quer durch Staten Island, am Ostufer dann rauf auf die Fähre und quer über den Hudson in nördöstlicher Richtung auf die Südspitze Manhattans zu, vorbei an Liberty Island samt Freiheitsstatue. In Manhattan bin ich dann auf dem "Hudson River Greenway", einem zweispurigen Radweg, parallel zum Hudson in nördliche Richtung gefahren bis ich ungefähr bei meiner Arbeitsstätte war. Da ich außerhalb der Rushhour bzw. am Wochenende unterwegs war, konnte ich dann mit der PATH-Bahn zurück nach Jersey (gestrichelte Linie im Norden der Karte). Dort hab ich noch einen kleinen Schlenker eingelegt und bin dann wieder zuhause angekommen.

Die Bayonne Bridge, die ich übrigens von meinem Wohnzimmerfenster aus sehen kann, war das erste Zwischenziel der Tour. Wie bei allen größeren Brücken New Yorks ist es auch bei der Bayonne Bridge nicht ganz einfach, den Aufgang für Radfahrer bzw. Fußgänger zu finden. Da die Brücken recht hoch gebaut sind, um Schiffe problemlos passieren zu lassen, ziehen sich die Rampen zur Überwindung des Höhenunterschieds für die Autos viele Blocks ins Landesinnere. Häufig sind die Rampen auch noch als Schleifen ausgeführt, um Platz zu sparen. Besonders eindrucksvoll sieht man das bei der George Washington Bridge; schaut euch das mal z. B. auf Google Maps an!

Es ist also gar nicht so leicht zu sagen, wo die Autobahn aufhört und die Brücke anfängt. Entsprechend musste ich etwa eine Viertelstunde rumsuchen, bis ich den Treppenaufgang für Fußgänger und Radfahrer gefunden habe. Außerdem möchte ich anmerken, dass der Zustand der Brücke nicht der Beste ist:


Ein paar Kübel Farbe könnten jedenfalls nicht schaden, finde ich.

Der Ausblick von der Brücke ist leider nicht so erhaben und ehrfurchtgebietend wie bei anderen New Yorker Brücken. Der Blick fällt hier auf mehr oder weniger attraktive Hafenanlagen:


Der Preis für diesen super Ausblick war übrigens ein kräftiger Seitenwind, der fast mein Fahrrad umgeweht hätte, mir den Atem nahm und Tränen in die Augen trieb. Ein potentieller Selbstmörder hätte es an diesem Tag jedenfalls nicht über das Geländer geschafft; der Wind hätte ihn zurück auf die Brücke gepustet.

Der anschließende Weg quer durch Staten Island war zunächst unspektakulär. Ich hatte mir für meine Route die "Forest Avenue" herausgesucht, was einigermaßen idyllisch klang. Und tatsächlich führt die Straße für ein paar hundert Meter auch durch eine parkähnliche Landschaft bzw. durch ein kleines Wäldchen. Nur leider stellte sie sich insgesamt als eine viel befahrene Hauptverkehrsstraße heraus, auf der Radfahren zwar nicht unmöglich, aber doch reichlich unentspannt war. So kann man sich halt von Namen täuschen lassen.

Und ausgerechnet im Bereich des erwähnten kleinen Wäldchens befand sich zu allem Übel auch noch eine fiese Steigung. Lasst es mich mal so formulieren: wenn du als Radfahrer um eine Kurve kommst und dann von einem großen, gelben Warnschild mit der Aufschrift

HILL!
Trucks use lower gear!

begrüßt wirst, weißt Du, was die Stunde geschlagen hat. Ich kann jetzt jedenfalls bestätigen, dass bei meinem neuen Fahrrad auch das ganz kleine Kettenblatt hervorragend funktioniert, besonders im Zusammenspiel mit den eher größeren Ritzeln hinten.

Die Belohnung der Plackerei war ein schöner Blick auf Skyline Manhattans im Hintergrund und Teile Staten Islands im Vordergrund. Durch die Position auf dem Hügel ergab sich übrigens der optische Eindruck, dass Staten Island unter Meeresspiegelniveau liegt, was natürlich nicht stimmt. Man kann diese optische Illusion auf diesem Bild ein wenig erahnen:

Blick von der als "Fotoposition" markierten Stelle in der Karte
auf Manhattan und Teile Staten Island (St. Georg)

Der beste Teil der Tour war aber zweifellos die Fährfahrt rüber nach Manhattan. Nachdem sich ein Spürhund vergewissert hatte, dass ich keinen Sprengstoff, keine Drogen und auch keine Schinkenbrote in meinem Rucksack habe, durfte ich nach kurzer Wartezeit in Begleitung meines Fahrrades die Fähre betreten. Nach dem Ablegen der Fähre boten sich dann spektakuläre Aussichten auf Manhattan's Skyline und die Freiheitsstatue, die man in nur wenigen hundert Metern Abstand passiert:





Um euch noch schnell einen Eindruck von der Beliebtheit des Fahrradfahrens hier in den USA zu geben:
  • Ich war an einem Samstagnachmittag bei bestem Wetter (siehe Fotos) unterwegs.
  • Ich nahm die Fähre um 16:30 Uhr, was ich mal als typische Man-Ist-Aus-Vergnügen-Unterwegs-Zeit bezeichnen würde.
  • Ich schätze, dass ca. je 1000 Passagiere die Fähre verlassen und wieder bestiegen haben.
  • Ich nahm die Fähre in die "schöne" Richtung, also auf Manhattan zu.
  • Die Nutzung der Fähre ist kostenlos, auch für Radfahrer.
  • Außer mir waren nur zwei weitere Radfahrer an Bord.
Ich schätze, damit ist alles gesagt.

Zum Abschluss noch ein letztes Bild, vom wirklich gut ausgebauten "Hudson River Greenway". Es handelt sich dabei um einen zweispurigen Radweg, der an der Südspitze Manhattans beginnt und bis weit hinein in die Bronx im Norden führt. Während weite Teile der Bronx eher an die Kulisse eines Endzeitfilms erinnern (zumindest, wenn man mit der U-Bahn durchfährt. Tagsüber. In Begleitung. Ohne Wertsachen.), ist die Umgebung des Radwegs in Lower Manhattan natürlich beeindruckender (s. Bild links). Die hohen Glaskästen in der Bildmitte und etwas rechts versteckt sind die Baustelle des neuen World Trade Centers.

Einschließlich des kleinen Schlenkers in New Jersey auf dem Heimweg und inklusive gelegentlicher "verfahrensbedingter" Umwege hatte ich nachher 45 km mehr auf dem Tacho. Genau das Richtige für einen Ostersamstag. Und vielleicht für einen gelegentlichen Weg zur Arbeit ;-)

P.S.: Habe jetzt erst durch Zufall herausgefunden, dass man die Fotos in den Artikeln durch Anklicken auch "in groß" betrachten kann! Aufgrund der vielen Bilder in diesem Artikel sei darauf nochmal hingewiesen. War mir gar nicht bewusst....

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