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Mittwoch, 18. April 2012

Raster-Fahnung: Warum amerikanische Städte anders sind

Amerikanische Städte sind irgendwie komisch. Sie wirken weniger wie "gewachsen", sondern vielmehr wie "ausgerollt". Flechtengleich überziehen viele Städte mit ihrem immer gleichen Straßen-Schachbrettraster die Landschaft, was sich vor allem aus dem Flugzeug sehr schön beobachten lässt. Im Landeanflug offenbart sich dann die ungewohnte innere Struktur vieler Städte genauer: es gibt große, klar abgegrenzte Wohngebiete, daneben dann große, klar abgegrenzte Geschäftsgebiete und im Anschluss daran irgendwo große, klar abgegrenzte Industriegebiete. Wer schon einmal SimCity gespielt hat, weiß, wovon ich rede.

Vor allem durch Begriff "Wohngebiet" darf man sich nicht verwirren lassen. Vielerorts (weniger im Großraum New York, zugegebenermaßen) wird der Name ernst genommen. In einem Wohngebiet wird gewohnt. Supermarkt, Krankenhaus, Ärzte, Friseur, Altenheim etc. finden sich dort kaum. Stellt euch ruhig die typischen Klischee-Suburbs vor. Die gibt es wirklich. Die mit ihnen einhergehende starke Entmischung der Lebens-, Arbeits- und Geschäftsgebiete ist meines Erachtens nach auch der Grund, warum hier jeder Weg mit dem Auto zurückgelegt wird: egal was man gerade braucht, es befindet sich mit hoher Wahrscheinlichkeit am anderen Ende der Stadt.

Ein besonders gespaltenes Verhältnis habe ich inzwischen gegenüber der hier vorherrschenden Straßentopologie, dem Rechteckraster. Hinsichtlich Orientierung und Positionsangaben ist es sicher unschlagbar einfach und effektiv. Aber mittlerweile überwiegen in meiner Empfindung eher die Nachteile: viele Wege sind weiter (man kann keine "Diagonalen" gehen), es gibt keine wirklichen Zentren und es ist unglaublich monoton.

Straßenführung im Rechteckraster im Großraum New York
(Klick zum Vergrößern; Quelle der Karte: Openstreetmap.org)
Von europäischen Städten -- sieht man mal von Ausrutschern wie Mannheim ab -- sind wir anderes gewohnt. Typischerweise gibt es ein unübersehbares, zumeist historisch gewachsenes Zentrum, dazu eine oder mehrere Ringstraßen um das Zentrum herum und ergänzend dann noch mehr oder weniger strahlenförmig auf das Zentrum zulaufende Hauptstraßen. Das Zentrum selber gleicht einem irgendwie gearteten Straßenknäuel und die Ringstraßen entsprechen häufig dem Verlauf einer alten Stadtmauer oder Wallanlage. Und wenn ihr gedanklich das doch recht imposant klingende Wort "Zentrum" mal mit "Ortskern" ersetzt, werdet ihr feststellen, dass diese Beschreibung auch auf die meisten kleineren Städte und Ortschaften zutrifft.

Konzentrische Kreisringstraßen mit strahlenförmigen Zubringern am
Beispiel Braunschweigs. Mit dezenter Hervorhebung der Topologie.
(Quelle der Karte: Openstreetmap.org)
Vergleicht man diese beiden Topologien, offenbart sich der Unterschied zwischen 2000 und 200 Jahren Stadtentwicklung. Oder, wie ich eingangs formulierte, der Unterschied zwischen "gewachsen" und "ausgerollt". Oder, wie mir mein Bauch sagt, der Unterschied zwischen "organisch" und "künstlich".

Vor allem das Fehlen von Zentren finde ich irgendwie irritierend. Wohin soll man sich in einer unbekannten Stadt oder einem unbekannten Stadtteil als erstes wenden? Wo werden Geschäfte, Kneipen, Verkehrsmittel sein? Steht man mitten im Rechteckraster, ist eine Richtung so gut wie die andere. Es gibt keine Vorzugsrichtung, man kann einfach nur auf gut Glück losstiefeln. Naja, immerhin findet man anhand von Längs- und Querkoordinate immer leicht zum Ausgangspunkt zurück. Allerdings: in Zeiten, in denen selbst jeder Wasserkocher mit GPS, Breitband-Internet und Navigationssoftware ausgerüstet ist, verliert der Vorzug der leichten Orientierung im Raster immer mehr an Bedeutung.

Der nächste Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen Städten, der mir immer noch zu schaffen macht, sind die Häuser. Du stehst davor und denkst: Dies ist zweifellos ein Haus. Vier Wände, mindestens eine Tür, Fenster. Dach. Alles da. Und doch, und doch.... fühlt es sich irgendwie falsch an.

Ich habe schon beträchtliche Zeit vor normalen Wohnhäusern verweilt und versucht, herauszufinden, was denn nun verdammt nochmal so anders ist. Da ich diese Frage vollkommen unbelastet durch irgendwelches architektonisches Fachwissen angegangen bin, hat es einige Zeit gedauert, bis ich auf einigermaßen zufriedenstellende Antworten gekommen bin.

Der wichtigste Punkt sind gewiss die Proportionen. Die Häuser sind hier über-hoch. Oder unter-breit. Je nach Betrachtungsweise. Grob geschätzt würde ich mal sagen, die Häuser sind doppelt so hoch wie breit. Ein für deutsche bzw. europäische Verhältnisse eher ungewohntes Format. Da haben die Amerikaner einen gewaltigen, beinahe unermesslich großen Kontinent zur Verfügung und setzen da Häuser rein, die aussehen, als müsse zu ihrer Vervollständigung die zweite Hälfte noch nachgereicht werden. So ganz verstehe ich das nicht.

Der Eindruck der "falschen" Proportionen wird durch die vermaledeiten Fenster noch verstärkt. Die mit Vorliebe verbauten Hoch-Runter-Schiebefenster sind naturgemäß ebenfalls eher hoch als breit und greifen somit die Proportionen des gesamten Hauses wieder auf. Diese ungewohnt schlanken Fenster sehen natürlich anders aus als die typischen deutschen Kunststoff-Kippfenster, die deutlich breiter als ihre amerikanischen Schiebe-Brüder daherkommen. Schaut euch das folgende Bild an und ihr wisst was ich meine. Die Fenster sind einfach "verkehrt":


Außerdem spricht aus der abgebildeten Fensteranordnung wieder die US-Vorliebe für strikte Rasterausrichtungen. Wie langweilig. Wie wärs zur Auflockerung mal mit einem zweiflügeligen Fenster? Eventuell sogar mit einer ganz verwegenen 2/3 - 1/3 Teilung? Ach halt, geht ja nicht... kann man nicht schieben. Und Kippfenster haben es ja noch nicht über den Atlantik geschafft, ich vergaß. Mein Fehler. 'Tschuldigung.

Es gibt noch einige andere Dinge, aufgrund derer die Häuser hier eigenartig auf den europäischen Betrachter wirken. So sind die meisten Behausungen einfache, schmucklose Kästen, mit sterbenslangweiligen Fassaden, ohne Auflockerung, ohne Zierelemente, ohne Erker, Ausbaufenster oder anderen Auflockerungen. Also ohne alles, was mehr Geschick erfordert, als einfach vier zueinander rechtwinklige Mauern hochzuziehen. Und dann die Dächer. Giebeldächer habe ich hier noch nicht bewusst wahrgenommen, also auch keine Dachausbauten, Traufen, Dachüberstände. Hier setzt man einfach einen platten Deckel auf die Kiste und fertig. Ist vermutlich einfacher, als umständlich mit großen Dachstühlen rumzuhantieren, Dachpfannen aufzulegen usw.

Auch auf die Gefahr hin, mich jetzt wieder deutscher Arroganz und Besserwisserei schuldig zu machen: ich finde, die Bauart der Häuser deutet eher auf "Primitivbauweise" hin als auf hohe Handwerkskunst. Aber als Architektur- und Bauingenieurs-Ignorant mag ich mich da natürlich irren.

Ein letzter, straßenbildbestimmender Aspekt, den ich euch nicht verschweigen möchte, sind die allgegenwärtigen Kabel, die kreuz und quer über die Straßen gespannt sind. Sieht nicht gerade super aus, aber ist sicher günstiger, als die Kabel zu verbuddeln. Bis zum nächsten Orkan oder Hurrikan. Aber das ist ja im Moment vollkommen egal, schließlich haben wir heute gutes Wetter, oder? Und seit wann werden kritische Infrastrukturen wie beispielsweise Stromnetze auf lange Haltbarkeit und hohe Beständigkeit ausgelegt? Dafür müsste ich ja heute beim Bau mehr Geld ausgeben als gegenwärtig unbedingt erforderlich. Das ist ja doof. Außerdem wollen ja auch die Strommasten-Nach-Einem-Sturm-Wiederaufrichter einen Job haben, oder? Eigentlich geht es so doch allen besser, denkst Du nicht auch? Na siehste.


P.S.: alle Fotos habe ich von derselben Position aus gemacht und zwar mit Blick nach rechts, links und oben.

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