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Mittwoch, 18. Januar 2012

Low-Tech-Land, Teil 2

Lasst uns den kleinen Rundgang im Haushalt fortsetzen, den wir in Teil 1 begonnen haben, und uns dem Thema "Sanitäre Einrichtungen" zuwenden.

Als das größte Ärgernis im Alltag empfinde ich hier die Wasserhähne. Der in Deutschland weit verbreitete Einhebelmischer ist hier nämlich weitestgehend unbekannt, so dass alle Wasserhähne getrennte Regler1 für Kalt- und Warmwasser haben. Das klingt jetzt nicht soooo nervig, ist es aber.

Jedesmal, wenn man den Wasserhahn auf- oder zudrehen will, muss man zwei Regler bedienen. Jedesmal beim Aufdrehen muss man aufs neue die Temperatur zurechtfummeln. Meistens muss man irgendwie über Kreuz greifen und beispielweise den rechten Regler mit der linken Hand bedienen, weil eine Hand entweder voll oder eingesaut ist. Sind beide Flossen eingesaut, kann man das Wasser nicht durch Anstupsen eines Einhebelmischers -- z. B. mit dem Handrücken -- starten; nein, man muss das Warm- und Kaltwasserventil angriffeln, dabei alles dreckig machen und kann dann danach Hände und Wasserhahn ausgiebig reinigen.

Ähnlich wie bei Fenstern und Türen ist auch bei Wasserhähnen mein Erklärungsansatz: Selbstverständlich ist eine Einhebelmischbatterie europäischer Bauart komplizierter zu fertigen, als wenn man einfach die Ausgänge zweier Schraubventile zu einem Rohr zusammenschweißt, das ganze "Wasserhahn" nennt und den Benutzer den Rest machen lässt. Wie vor 100 Jahren. Genauso wie bei Türen und Fenstern hat sich hier in den USA also auch bei Wasserhähnen nur die primitive Low-Tech-Lösung durchsetzen können, weil die elegantere, filigranere High-Tech-Lösung wohl nicht mit den hiesigen Fertigungs- und Installationsstandards vereinbar wäre. Oder weil es schlicht und ergreifend "halt immer so war".

Aber auch bei Wasserhähnen gilt natürlich: keine Regel ohne Ausnahme! Duschen (z. B. meine) sind hier durchaus mit Einhebelmischern ausgestattet. Allerdings erlauben die dann nur das Einstellen der Temperatur und nicht das Einstellen der Durchflussmenge. Da diese "eindimensionale Mischung" technisch noch relativ leicht zu realisieren sein dürfte, ist das kein Widerspruch zu meiner Theorie aus dem vorherigen Absatz.

Und: in unserer Teeküche im Büro haben wir tatsächlich eine Einhebelmischbatterie, mit der man Temperatur UND Durchflussmenge einstellen kann! Allerdings funktioniert die nicht richtig und schaltet je nach Position des Hebels mehr oder weniger binär zwischen "An", "Aus", "Heiß" und "Kalt" um. Übergangsbereiche zwischen den Zuständen sind praktisch nicht vorhanden. Außerdem verkippt sich der Hebel immer ganz komisch um seine Längsachse, so als balanciere er auf einer Kugeloberfläche.
Halten wir also fest: netter Versuch, aber eben nur ein Versuch. Ein gescheiterter Versuch.

Ironie der Geschichte: laut Wikipedia war es ein Amerikaner, der den Einhebelmischer erfand. In der 40er Jahren. Als Amerika technologisch noch weiter vorne war...

Etwas gewöhnungsbedürftig sind hier auch die Toiletten. Für einen Nicht-Eingeweihten wirken die US-Toiletten zunächst wie verstopft, weil z. T. bis knapp unter dem Rand Wasser in der Schüssel steht. Nachdem man dann über diesem beschaulichen Tümpel sein Geschäft verrichtet hat und die Spülung bedient, passiert irgendein Wunder. Unter lautem Gurgeln und Schmatzen wird der gesamte Toiletteninhalt "abgesaugt" bis die Schüssel komplett leer ist. Danach fließt frisches Wasser ein und füllt die Schüssel erneut. Die zugehörigen Rohre und Armaturen erinnern übrigens ein wenig an die Ausstattung eines U-Boots. Zumindest der Hebel, mit dem man die Spülung betätigt, ist eine 1:1-Kopie des Torpedo-Auslösers aus "Das Boot".

Offengestanden ist mir schleierhaft, wie dieses System funktioniert. Es wirkt beinahe so als stünde das gesamte Abwassersystem unter Unterdruck, was ich mir aber kaum vorstellen kann. Ich kann nur sagen, dass es anders als in Deutschland nicht das nachdrückende Spülwasser ist, das für den Abfluss der Ausscheidungsergebnisse sorgt, sondern dass irgendwer/irgendwas/irgendwie den Kram absaugt.

Nun mag manch ein Leser einwerfen, dass dieses Abwassersystem viiiel zu kompliziert für amerikanische Verhältnisse klingt. Und damit liegt ihr vollkommen richtig! Der Beweis dafür ist nämlich, dass das System in schöner Regelmäßigkeit versagt und die Toiletten verstopfen. In dem halben Jahr hier habe ich mehr verstopfte Toiletten gesehen als in meinem gesamten Leben zuvor. Im Schnitt kann man sagen, dass einmal pro Woche eine unserer drei Toiletten im Büro verstopft. Zumindest gemessen an dem, was ich so mitbekomme... ich kontrolliere das nun wirklich nicht im 15-Minuten-Takt. Es wird also eine gewisse Dunkelziffer geben. Oder sagen wir lieber "Braunziffer", denn das wird dem appetitlichen Erscheinungsbild der verstopften Toiletten eher gerecht.

Das häufige Verstopfen mag auch daran liegen, dass die Abwasserleitungen erheblich geringere Durchmesser aufweisen, als wir es in Deutschland gewohnt sind. Wenn ich mich recht erinnere, führt man in Deutschland üblicherweise Abwasserrohre mit 10 oder 12 cm Durchmesser zu einer Toilette (DN100, DN120; Sanitärexperten mögen mich korrigieren, falls ich hier irre). Anders in den USA: wenn ich das, was ich in einem New Yorker Hotel gesehen habe, mal als repräsentativ annehmen darf (bei den meisten Toiletten sind die Rohre durch den "Schüsselfuß" verdeckt und entziehen sich somit einer genaueren Analyse), erinnern die Toilettenanschlüsse eher an eine Dusche oder ein Waschbecken: erstaunlich dünn. Sicherlich ein Bestandteil des Verstopfungsproblems. Ach, apropos Dusche und Verstopfung: ich habe noch keine Dusche angetroffen, aus der das Wasser vernünftig abgeflossen wäre! Stichprobengröße: ca. 10. Trefferquote: 100%.

Diese Mängel beim Abwassersystem sind übrigens nicht nur historisch gewachsen. Selbst in relativ modernen Gebäuden wie meinem Appartement (Baujahr Mitte der 90er) treten die gleichen Scherereien auf. So hat auch meine Toilette nur eine recht geringe Aufnahmekapazität, wie es scheint. Jedenfalls hat sie sich mal an einer handvoll zugeschnupfter, zusammengeknüllter Tempos verschluckt, die ich auf unkomplizierte Weise über die Toilette entsorgen wollte. Erst nach zehnmaligem Spülen und ein paar Beschwörungsmantras hatten sich die Tempos durch das Rohr gequetscht und alles war wieder gut. Glück gehabt!

Und was lernen wir nun aus dieser ganzen sanitären Misere? So wie sich Reptilien seit ein paar Millionen Jahren beharrlich der Evolution verweigern und ihre Entwicklung ein- für allemal für abgeschlossen erklärt haben, genauso innovations- und erkenntnisresistent geben sich unsere amerikanischen Freunde bei sanitären Einrichtungen. Aber ca. 310 Mio. Leute, die täglich in kleine Tümpel sch**ßen und mit regelmäßig verstopften Toiletten leben, können schließlich nicht irren, oder?


1: ja, ich weiß, dass es sich technisch gesehen nicht um Regler sondern um Stellglieder handelt. Trotzdem verwende ich den Begriff hier, weil er sich eingebürgert hat.

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