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Sonntag, 19. Juni 2011

Eine Botschaft über die Botschaft

In "Bist Du Terrorist?" beschrieb ich bereits vor einigen Tagen, welchen Aufwand es macht, den langen, langen Fragebogen für die Beantragung eines US-Visums auszufüllen. Die Grundübung bei diesen ganzen Anträgen (sei es nun für das Visum, ESTA oder das Ich-bin-kein-Terrorist-Formular, das im Flugzeug verteilt wird) ist immer, die Daten des Reisepasses anzugeben: Nachname, Vorname, Geburtstag, Reisepass-Nummer.

Nachdem der Visumsantrag online ausgefüllt und abgeschickt wurde, bekommt man eine eindeutige Antragsnummer zugewiesen, über die US-Behörden auf die Antragsdaten zugreifen können. Unter anderem auf Nachname, Vorname, Geburtstag, Reisepass-Nummer.



Kleiner Einschub: das Abschicken des Visumsantrags erfordert eine "elektronische Signatur". Darunter stellen sich die US-Behörden vor, dass man ein Kästchen anklickt (vergleichbar mit dem AGB-Akzeptieren in Online-Shops). Und dass man, um sich zu authentifizieren, nochmals ein paar bis dahin noch nie preisgegebene Daten eingibt: Nachname, Vorname, Geburtstag, Reisepass-Nummer.

Nach dem Abschicken der Daten vereinbart man ebenfalls online einen Termin bei der US-Botschaft in Frankfurt. Dort muss man nämlich persönlich vorsprechen, um das Visum endgültig zu beantragen. Bei dieser Terminvereinbarung zeigt sich die US-Botschaft übrigens sehr visionär und wendet ein Modell an, wie es sicher bald auch bei uns im Gesundheitssystem zu finden sein wird: allein für die Terminvereinbarung sind 10 US$ Gebühren fällig. Gesundheitsminister Bahr wäre bestimmt entzückt, würde er dieses Vorgehen kennen.

Auch die Wartezeit auf den Termin ist vergleichbar mit einem Besuch beim Facharzt: für einen "unbequemen" Termin morgens um 9 Uhr muss man momentan nur mickrige vier Wochen warten. Ein "bequemer" Termin, der An- und Abreise nach Frankfurt an einem Tag ermöglichen würde, wäre erst wieder im August zu bekommen gewesen. Dem Vernehmen nach soll das eigentliche Bewerbungsgespräch in der Botschaft übrigens nur knappe 10 Minuten dauern. Für so einen ausgiebigen Termin reist man natürlich gerne je 3 Stunden an und ab. Mitzubringen sind Papierversionen verschiedener Formulare, die man größtenteils bereits vorab elektronisch übermittelt hat. Eingedenk des enormen manuellen Verwaltungsaufwands, der offenkundig mit dem Antrag verbunden sein muss, wartet man natürlich gerne einen guten Monat auf den Termin. Man ist ja kein Unmensch.

Mein erster Versuch einer Terminvereinbarung ist übrigens grandios gescheitert, weil die US-Botschaft zur Zahlung der 10 US$ keine American-Express-Kreditkarte akzeptiert, sondern nur eine Visa- oder Mastercard, die ich gerade nicht zu Hand hatte. Wozu sollte eine US-Botschaft auch US-Kreditkarten akzeptieren?

Bei der Terminvereinbarung gibt man übrigens die eindeutige Antragsnummer an, über die auf den vorab online eingereichten Visumsantrag zugegriffen werden kann. Wir erinnern uns: der Antrag enthält an zwei Stellen die Angaben zu Nachname, Vorname, Geburtstag, Reisepass-Nummer. Vorsichtshalber ist bei der Terminvereinbarung aber nicht nur die Antragsnummer anzugeben, sondern auch Nachname, Vorname, Geburtstag, Reisepass-Nummer.

Für das Visum selber ist natürlich ebenfalls eine Gebühr fällig. Schlappe 300 Euro. Der Bezahlvorgang ist dabei ein wenig kurios. Ihr kennt doch sicher diese absolut seriösen Emails, in denen euch fremde Leute (vorzugsweise aus Nigeria) um die Vorabüberweisung von Gebühren via Western Union bitten? Die armen Menschen brauchen eure Hilfe, damit sie endlich ihr Millionenerbe o. ä. antreten können, das sie dann natürlich zum Dank mit euch teilen wollen. Beim US-Visum ist das ganz ähnlich. Nur dass man das Geld nicht über Western Union versenkt, sondern irgendeiner Anwaltskanzlei überweist, die das dann an die Botschaft weiterleitet. Irgendwie. Hoffentlich. Mal schauen. Damit das Geld auch ankommt, ist bei der Überweisung übrigens anzugeben: Nachname, Vorname, Geburtstag, Reisepass-Nummer.

Die ganze Geschichte hat mich gelehrt, dass ich viel zu oft irgendwelche vorschnellen Annahmen treffe, die sich dann als gänzlich falsch herausstellen. Darunter sind so offenkundig absurde Annahmen wie:
  • Es reicht, einer Behörde im Zuge eines einzigen, in sich geschlossenen Antragsverfahrens einen bestimmten Datensatz nur einmal zu übermitteln.
    Merke: Zumindest gilt dies nicht für Nachname, Vorname, Geburtstag, Reisepass-Nummer.
  • Die Vergabe eindeutiger Identifikationsnummern für ein ausgefülltes Formular ermöglicht den Zugriff auf dessen Inhalt. Jede weitere Wiederholung des Inhalts zusammen mit der Identifikationsnummer stellt daher nur fehlerträchtige Redundanz dar.
    Merke: Was in der IT-Welt bei Datenbanken ein elementares Design-Prinzip ist, ist in der Parallelwelt der Behörden offenbar so nicht gültig. Jedenfalls nicht bei Nachname, Vorname, Geburtstag, Reisepass-Nummer.
  • Die Abgabe einer "elektronischen Signatur" erfordert kryptographische Verfahren, Signaturschlüssel, Message-Digests etc., um sowohl die Integrität der Nachricht als auch die Authenzität des Signierenden sicherzustellen.
    Merke: US-Behörden verstehen darunter ein Häkchen auf einer Webseite nebst Angabe von Nachname, Vorname, Geburtstag, Reisepass-Nummer.
  • Vorab elektronisch ausgefüllte und online abgeschickte Formulare reduzieren Warte- und Durchlaufzeiten von Anträgen. Und Kosten.
  • Online Terminvereinbarungen sind kostenlos, da sie keinerlei Aufwand beim Besuchten erzeugen.
  • Die Online-Übermittlung von Formulardaten erübrigt das Anfertigen und Mitbringen eines Ausdrucks.
Wäre ich nicht so ein grenzenloser Feigling, hätte ich in einem der ca. 20 Fälle, in denen ich Nachname, Vorname, Geburtstag, Reisepass-Nummer angeben musste, mal aus Jux einen Zahlendreher eingebaut. Ob das jemandem aufgefallen wäre?

Aber vermutlich sind die ganzen vorab übermittelten Daten sowieso nur Spielerei. Denn beim Botschaftsbesuch überlässt man den US-Behörden für ein paar Tage den Reisepass. Und dann haben sie endlich Schwarz auf Weiß im Original, wonach sie die ganze Zeit trachten: Nachname, Vorname, Geburtstag, Reisepass-Nummer.

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