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Mittwoch, 15. Juni 2011

Frühe Eisenbahn in den USA — Ein Gaunerstück (Teil 2)

Wo waren wir am Ende von Teil 1 stehen geblieben? Ach ja: unter großen Opfern gelang es, am 10. Mai 1869 nach sechs Jahren Bauzeit den östlichen und westlichen Schienenstrang in Utah zu vereinigen. Die transkontinentale Eisenbahnlinie war fertig.

Leider waren die Zeiten gerade ziemlich schlecht. Die USA erlebten den berühmten "Schwarzen Freitag" (24.09.1869) und 1873 setzte die sogenannte "Große Depression" ein (in den USA als "Panic of 1873" bekannt). Oh, und Bürgerkrieg war auch noch zwischendurch (1861 - 1865).



Das alles sind Umstände, in denen man nicht unbedingt massenhaft Waren und Menschen spazierenfährt, sondern primär mit dem finanziellen und biologischen Überleben beschäftigt ist. Schlechte Zeiten also für Eisenbahnen.

Was der Union Pacific (UP), der größeren der beiden Eisenbahngesellschaften, allerdings das Genick brach, waren die netten Deals mit den künstlich überhöhten Rechnungen, die ich bereits kurz im ersten Teil erwähnte. Pikanterweise waren die Inhaber der Union Pacific und die ihres Unterauftragnehmers für die gesamten Bauarbeiten — Crédit Mobilier of America — identisch! Die feinen Herren stellten sich also selber überhöhte Rechnungen aus! So zweigten Sie Gelder aus ihrem staatlich überwachten Unternehmen in ein rein privates Unternehmen ab! Und da ist es wieder, unser Gaunerstück...

Doch leider, leider ging die UP aufgrund der Misswirtschaft und der gesamten wirtschaftlichen Situation bankrott und der schöne Deal flog auf. Aber, keine Panik, die Lösung ist bereits nahe: Jay Gould, einer der gerissensten Unternehmer Amerikas, übernahm die UP mit dem Auftrag, alles zum Guten zu wenden.

Über Jay Gould muss man eigentlich nur zwei Dinge wissen: er war der neunt-reichste Amerikaner aller Zeiten. Und er wurde in einem Ranking als der acht-schlimmste amerikanische CEO aller Zeiten gekürt. Welch ein Pedigree, um eine Eisenbahn zu retten!

In Fortsetzung unseres Gaunerstücks presste Jay Gould alles aus der UP, was noch übrig war. Er gestattete sich satte Dividenden (angeblich bis zu 38%) bis die UP wieder einmal vor dem Nichts stand. Kurz vor dem Untergang der UP entschied sich Jay Gould 1892 zum Sterben und ließ seine Gesellschafter und Aktionäre ratlos zurück.

Er hinterließ ein Chaos aus verworrenen Geschäftsbeziehungen, Konten, faulen Aktien und Obligationen. Die Kurse sanken ins Bodenlose. Die Anleger, darunter vor allem auch der berühmte "kleine Mann", hatten alles verloren.

Wie sah die Rettung aus?

Als sicher war, dass sie für die Verluste der Aktionäre und Gesellschafter nicht würden geradestehen müssen, kamen so noble und bekannte Herren wie J. D. Rockfeller, die Nachfahren von Cornelius Vanderbilt (der schon mit Jay Gould um die große Erie-Bahn kämpfte) und der Eisenbahnmagnat E. H. Harriman aus ihren Löchern und rissen sich die Bahnen unter den Nagel. Während Rockefeller und Vanderbilt einigermaßen bekannt sein dürften, ist der Name Harriman eventuell nicht so geläufig. Daher hier nur einige Zitate über ihn: er sei der  "Prototyp des skrupellosen Spekulanten am Kapitalmarkt" und jemand der "zahlreiche Existenzen vernichtete, selbst aber Millionen Dollars an sich riß". Theodor Roosevelt nannte ihn "einen jener großen Trustschädlinge, die mit dem Brandmal des Verbrechertums gekennzeichnet sind" (alle Zitate aus Wikipedia).

Also ein ähnlich ehrenwerter Mann wie Rockefeller und Vanderbilt, wie man sieht.

Was bleibt am Ende unserer kleinen Geschichtsreise? Fassen wir zusammen:

  • Die transkontinentale Eisenbahn wurde unter erheblichen Anstrengungen und Menschenopfern errichtet. Die Opfer waren vor allem Chinesen, die bei der Querung der Sierra Nevada starben.
  • Die Gesellschaften für den Bau der Eisenbahn, die Central Pacific und die Union Pacific, wurden üppig vom Staat bedacht, brachten kein eigenes Kapital mit, erpressten Geld von Städten entlang der Bahnlinie und gaben windige Aktien und Schuldverschreibungen raus.
  • Die größere von beiden, die Union Pacific, wurde durch drei Generationen von Direktoren ausplündert:
    • Die erste Generation stellte sich selber durch ihre eignen Baufirmen überhöhte Rechnungen und zweigte dadurch Geld ab.
    • Die zweite Generation saugte die UP durch gigantische Dividenden aus.
    • In der dritten Generation fiel sie Spekulanten wie Vanderbilt und Harriman in die Hände.
  • Die Kleinanleger verloren alles.
  • Die Hochfinanz machte "ein Schnäppchen".
Und damit ist unsere kleine Gaunergeschichte abgeschlossen. Über ca. 40 Jahre, von Mitte der 1860er bis Mitte der 1900er, kann man an beliebiger Stelle bei den Eisenbahnen reinstechen. Man trifft immer auf irgendeine stinkende Eiterbeule. Und da sag noch einer, der Raubtierkapitalismus sei eine Erfindung unserer Zeit...

Quellen: wie im ersten Teil.

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