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Montag, 8. August 2011

Flächenbrand

Eigentlich soll es in diesem Blog ja nicht um Politik und Wirtschaft gehen, sondern um locker-launige Berichte aus der neuen Welt. Allerdings drängt sich mir zunehmend der Verdacht auf, dass die Possen unserer Volksvertreter und Finanzjongleure meine bescheidenen Erlebnisse in NY bei weitem in den Schatten stellen. Daher seien ihnen hier ausnahmsweise mal ein paar Zeilen gewidmet, denn schließlich ist das, was da abläuft, ebenfalls "Wahnsinn" und somit konform zum Titel meines Blogs.

Leider ist mir der Artikel, als ich so schön im Schreibfluss war, viel zu lang geraten. Länger, als die meisten von euch zu Recht in diesem Blog erwarten und Lesen würden. Bilder sind auch keine drin. Egal. Ich lass ihn mal einfach so stehen. Es tat gut, das mal runterzuschreiben. Wer ein paar Minuten Muße hat, kann sich den Artikel gerne antun. Über Rückmeldungen und Kommentare würde ich mich freuen.

Für alle anderen hier die

Kurzfassung:

Ich bin frustriert und schockiert. Die ganze Welt leidet unter einer erdrückenden Schuldenlast und unsere Politiker wollen das durch neue Schulden und Rettungsschirme heilen. Ich kann es nicht fassen. Wie kann man so kurzsichtig handeln?
Gleichzeitig gehen in Spanien, Griechenland, Israel und England Hunderttausende -- leider z. T. gewälttatig -- auf die Straße, um gegen die Regierungen und deren Finanz- und Sozialpolitik zu protestieren. Und keiner der hohen Herren (und Damen) stört sich dran.

Ich mach jetzt hier die Kassandra und sage: das kann so nicht gut gehen. Die Schuldenspirale, aber auch die Protest-Spirale drehen sich in den letzten zwei, drei Jahren von Monat zu Monat schneller. Das kann nicht mehr ewig so weiterlaufen. Ich wage nicht, mir auszumalen, wo wir in drei bis fünf Jahren stehen....

Langfassung:

Machen wir doch mal eine kleine Bestandsaufnahme:

  • In den USA gab/gibt es eine Immobilienkrise. Banken haben im großem Maßstab Knete verliehen, deren Rückzahlung auf einer Wette auf steigende Immobilienpreise beruhte. Das ist doof, wenn die Preise aber tatsächlich fallen. Letzten Endes ist das so, als würde man einem mittellosen Pokerspieler Geld zum Spielen leihen. Würdet ihr das tun?
  • Klein-Irlands Banken haben kräftig bei den Finanzspielchen der Großen mitgemacht und sich verzockt. Da wurden mal eben 50 Mrd. € verbrannt, vor allem in Zuge der geplatzten US-Immobilienblase.
  • In beiden Fällen (und noch einigen anderen) wurden die privaten Schulden der Banken durch staatliche Mittel aufgefangen, um den Zusammenbruch der Banken zu vermeiden. Das schien das kleine Übel. Der Euphemismus für "Wir zahlen für eure Fehler" ist bekanntermaßen "Rettungsschirm".
Lektion 1: Gehe maximales Risiko ein. Verwende auch Deine Rücklagen für Spekulationsgeschäfte. Die Gewinne darfst Du behalten, einen Verlust tragen der Staat und Bürger.

Und wie sieht es in der Bilanz unser aller Vorbilder, der Staaten und Staatenlenker, aus?
  • In ausnahmslos allen westlichen Staaten wird seit Jahren und Jahrzehnten über die Verhältnisse gelebt. In einigen mehr (Griechenland, Spanien, Portugal, Italien, ...) in anderen weniger. Auch in Deutschland. Die Banken verdienen prima daran, weil sie die Zinsen einstreichen, die der Steuerzahler aufbringt.
  • Es gilt als Stabilitätskriterium (!!), pro Jahr nur drei Prozent des BIPs mehr an Schulden aufzunehmen. Hallo!?!! Geht's noch?
    • Wieso ist ein Land finanziell stabil, das systematisch in jeden Jahr mehr ausgibt als es einnimmt? Also ein Land, in dem Zins-, Tilgungs- und Schuldenlast jährlich zunehmen? Macht ihr das privat auch so?
    • Selbst bei einer Inflation von 2% nehmen die die Schulden im Realwert jährlich zu (2% der Schuldenlast vs. 3% des BIP; noch sind in Deutschland die Gesamtschulden geringer als das BIP).
Lektion 2: Erhöhe kontinuierlich Deine realwertige Schuldenlast. Das gilt als Ausweis eines klugen, nachhaltigen, stabilen Haushalts.

    Nun gelingt plötzlich ein paar Ratingagenturen die überraschende Erkenntnis, dass das nicht mehr lange gut gehen kann. Grund für die Panik:
    • Es ist gar nicht gewollt, dass die Staaten in der Lage wären, ihre Schulden abzubauen. Nur mit Schulden fließen fleißig Steuergelder an die Banken. In Form von Zinsen. Und was müssen die Banken für diese Einnahmen tun? Gar nichts.
    • Sollte die Bank pleite gehen, springt ja wiederum der Staat ein. Und letzten Endes hat die Bank das Geld auch nur vom Staat, allerdings zum geringeren Leitzins.
    • Der ideale Zielzustand: Staat hat Neuverschuldung in Höhe der inflationsbedingten Schuldenabwertung. Das Pertuum Mobile aus Sicht der Gläubiger ist geschaffen! Der Staat zahlt ewig Zinsen, ohne seine Schuldenlast faktisch zu senken!
    Was löste jetzt die Panik aus? Ganz einfach, der schöne Kreislauf geriet durcheinander! Griechenland & Co. liefen Gefahr, keine neuen Kredite zu bekommen, mit denen Sie ihre Zinsen und Tilgungen bedienen können! Kein Wunder, dass die Finanzmärkte da nervös werden! Erinnert euch bitte an die Formulierungen in den Nachrichten. Da hieß es sinngemäß vor ein paar Wochen: "Wenn Griechenland nicht bald frisches Geld bekommt, kann es die demnächst fälligen Staatsanleihen nicht zurückzahlen.". Von "kann seine Beamten und Angestellten nicht mehr bezahlen" war da keine Rede...

    Lektion 3: Realer Schuldenabbau ist von den Finanzmärkten nicht gewollt. Nur eine Sicherstellung der Zins- und Tilgungszahlungen. Alles andere wären Einnahmeeinbußen.

      Was nun? Einige Staaten haben mehr Schulden, als ihre Einnahmen zulassen und werden instabil bzw. es droht Zahlungsausfall. Das "Solidarprinzip" auf Staatsebene (z. B. alle Griechen teilen sich die griechischen Schulden) ist gescheitert. Man geht zur nächsten Eskalationsstufe über:
      • Das "Solidarprinzip" wird nun auf EU-Ebene gehievt. Stichwort: Rettungsschirm. Alle aus der EU zahlen, um an sich bankrotte Staaten zu stützen.
      • Die EZB (und auch der Fed in den USA) kaufen Staatsanleihen. Die EZB zur Zeit immerhin noch mit Geld der Mitgliedsstaaten, was aber bereits grenzwertig ist.
      • Ansonsten gilt: kaufen Notenbanken die Staatsanleihen ihrer Mitgliedsstaaten, ist das wie Geld drucken. Die Notenbank "generiert" das Geld zum Kauf, sie "hat" es nicht.
      • Darüber, ob und in wie weit das Geld der Mitgliedsstaaten, mit dem die EZB zur Zeit operiert, real ist oder wiederum auch nur auf Schulden (oder Bürgschaften, also potentiellen Schulden) basiert, wage ich gar nicht nachzudenken.
      Was ist, wenn diese "Rettungsschirme" versagen? Wie sieht die nächste Eskalationsstufe aus? Auf "Weltebene" gehen? Das kann nicht klappen, denn die allermeisten anderen Staaten der Welt stehen schlechter da als EU und USA... wie sollen die Bettler den (angeblichen) Millionären helfen?

      Lektion 4: Das sieht alles ziemlich übel aus.


      Im Prinzip findet hier ja überall nur Löcherleitung statt. Ganz am Anfang hat mal jemand mehr Geld ausgegeben, als er hatte. Das Geld ist nicht "weg", sondern wurde in Infrastruktur, Sozialleistungen und ähnliches gesteckt. (Kleiner Zwischencheck: wer das hier liest bekommt einen Keks.) Das dabei entstehende Loch wurde mit nationalen Krediten gestopft. Jetzt zeigt sich, dass das Geld nicht zurückgezahlt werden kann und der Gläubiger wimmert rum. Also stopft man das Loch mit frisch geliehenem Geld, um erstmal Ruhe zu haben. Jetzt ist das Loch woanders, aber es ist noch da.

      Das Dumme: aufgrund der Zinsen, Zinseszinsen und Tilgungen werden die Löcher immer größer. Und, wie eben erläutert, eskalieren die Quellen des "Stopfgeldes" von nationaler auf internationale Ebene.

      Am Ende muss jemand bluten und auf Geld verzichten. Es geht nicht anders. Dafür gibt es genau zwei Möglichkeiten:
      1. Gläubiger verzichten. Das wird viele Banken sehr unglücklich machen und vermutlich ein paar in den Abgrund reißen. Und die Wirtschaft gleich mit, da hoffnungslos mit den Banken verflochten. Das haben wir aus der Immobilienkrise gelernt.
      2. Die Löcher werden mit gedrucktem Geld gestopft. Super. Das gibt 'ne Inflation und realwertig haben wir dann doch wieder alle solidarisch zum Löcherstopfen beigetragen, nämlich durch die Entwertung unserer Gehälter und Ersparnisse. Dumm nur, dass dann auch niemand mehr was kaufen kann und es eine Abwärtsspirale der Wirtschaft gibt. Stichwort: über Inflation entschulden.
        Lektion 5: Das kann gar kein gutes Ende nehmen. Wir zögern den Knall nur hinaus. Durch Löcherleitung.


        Und nun schauen wir uns mal einige wichtige Länder aus der Vogelperspektive an:
        • In Griechenland gehen die Leute seit Wochen auf die Straße, um gegen die Sparmaßnahmen und die Regierung zu demonstrieren. Immer wieder gibt es Generalstreiks. Selbst hochqualifizierte Personen verdienen kaum noch genug zum Überleben. Mitunter wird sogar in halbwegs seriösen Quellen mit morbider Lust über einen möglichen Bürgerkrieg orakelt.
        • Hunderttausende haben tagelang in Spanien demonstriert, auch gegen den Willen der Regierung. Vor allem ist es die jüngere Generation, die kaum noch eine Perspektive sieht.
        • In Israel sind vor zwei Tagen 300.000 Demonstranten zusammen gekommen, um gegen die großflächige Verarmung der Mittelschicht zu protestieren. 300.000 Demonstranten in einem Land von 7,6 Mio. Einwohnern sind eine Menge. Das wäre bei uns eine Demonstration von 3,3 bis 3,5 Mio. Leuten...
        • In London brennen die dritte Nacht in Folge mehrere Stadtteile und mittlerweile kommen die Unruhen auch in Liverpool und Birmingham an.
        Und das waren nur die Meldungen der letzten Tage. Wer länger zurückgeht findet auch woanders noch ähnliche Proteste z. B. in Tschechien. Und die vielen Hunderttausende, die seit Jahresanfang in Tunesien, Syrien, Bahrain etc. auf die Straße gegangen sind, wollen wir auch nicht vergessen, auch wenn die etwas andere andere Nöte und Beweggründe haben.

        Und was fällt unseren Politikern dazu ein?

        Konstruktion neuer Rettungsschirme, Schuldenfonds und Anleihen. Um weiterhin Schulden mit Schulden zu bekämpfen, um den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Um immer noch ein wenig länger durchzuhalten. Um nur noch ein paar Monate zu überstehen, bis zur nächsten Wahl. Um nicht die bittere Wahrheit sagen zu müssen, dass am Ende jemand die Zeche zahlen muss. Um die Schuldenspirale immer weiter und immer schneller zu drehen, auf Kosten aller. Auf Kosten all derer, die gerade in ganz Europa zu Hunderttausenden auf die Straße gehen.

        Wie sagt man so schön? Ich kann gar nicht soviel essen, wie ich k*tzen möchte.


        P.S.: jaja, ich weiß. Ist in weiten Teilen Stammtischniveau. Schlaue Leute können mir jetzt sicher mit vielen Details, Querbeziehungen und Gegenargumenten kommen, warum das insgesamt doch alles klappen kann. Allen voran wahrscheinlich die Politiker und Wirtschaftler, die den Karren in den letzten Jahren in voller Karriere in genau den Dreck gefahren haben, in dem wir heute stecken. Da halte ich als Ingenieur dagegen: wenn das System schon auf grober Ebene nicht sinnvoll funktioniert, wird es konzeptionell durch Flickschustereien an den Details nicht besser. Unrat bleibt Unrat, auch wenn man zehn Lagen Klopapier drumwickelt.

        3 Kommentare:

        1. Wunderbar! Du bist schon Nr. Zwei, die sich meldet. Ich bin mir sicher, dass alle anderen einfach nur freiwillig auf ihren Keks verzichten und sich nicht melden...

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        2. Auch Keks ;)

          Dein Fahrradaufpasser!

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