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Donnerstag, 21. Juli 2011

Abschied von der Heliandstraße

Sechs Jahre, zehn Monate. So lange habe ich in meiner Wohnung in der Heliandstraße gewohnt. Zusammen mit den sechs Jahren, die ich im Studentenwohnheim gelebt habe, macht das fast dreizehn Jahre Braunschweig. Eine lange Zeit.

Und doch bedurfte es kaum mehr als 10 Stunden, um die Artefakte dieser dreizehn Jahre einzutüten, auseinanderzuschrauben, einzupacken. Nach weiteren zwei Stunden Putzen und Aufräumen erinnerte nichts mehr daran, dass ich einmal viele Jahre in dieser Wohnung gelebt habe. Lediglich ein paar zugegipste Dübellöcher starrten mich beim Abschiedsrundgang vorwurfsvoll an. Ganz so, als wollten sie mir Untreue oder Feigheit vorwerfen, weil ich mich einfach so aus dem Staub machte.

Als ich am Dienstag aufwachte, deutete nur wenig auf meinen bevorstehenden Aufbruch hin. Okay, im Wohnzimmer lagen ein paar Hügel mit vorsortiertem Krimskrams (Luftfracht vs. Lager). Allerdings war mein Wohnzimmer auch früher je nach Aufräumlust und -laune durchaus nicht immer hügelfrei. Außerdem war mein Kühlschrank weitestgehend leergefressen, aber wenn das jedesmal ein Indiz für einen bevorstehenden Umzug wäre, hätte ich in der Vergangenheit meine Adresse beinahe im Wochentakt ändern müssen. Mit anderen Worten: beim Aufwachen war eigentlich war alles wie immer. Täglich grüßt das Murmeltier.

Dann kamen die Umzugsleute.

Staubedingt ein wenig später als angedroht fielen morgens um halb neuen drei Männer bewaffnet mit Akkuschrauber, Umzugskartons und Polsterfolie bei mir ein, um alles einzupacken, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Mangels Bäumen und auch ein wenig mangels eigenen Antriebs mussten sich Teppich, Tand und Terrakottakrieger also wohl oder übel in Umzugskartons pressen und in einem LKW laden lassen. Der brachte sie dann in ein Lager bei Heidelberg, von wo aus sie entweder den Luftweg in die USA antreten oder ein dreijähriges Nickerchen machen werden.

Verpackungskunst: Mein Wohnzimmer, eingewickelt
(Quelle: Eigene Aufname)
Damit es den Sachen im Lager nicht zu kalt wird, wurden sie von den Umzugsleuten großzügig eingewickelt und sorgfältig verpackt. Das Ergebnis kann man auf dem Foto bewundern. Ich hoffe nur, dass die den Müll auch wieder mitnehmen, wenn die meinen Kram in ein paar Jahren wieder irgendwo anders wieder aufbauen. Ansonsten würde das für ein hübsches Lagerfeuerchen reichen.

Tja, und wie gesagt: abends war die Wohnung dann einfach leer. Kein "Sterben auf Raten", kein langsames Umsiedeln in die neue Wohnung, keine Gnadenfrist, in der man sich behutsam von alt nach neu umgewöhnt. Nichts. Morgens: voll. Abends: leer (jaja, ich weiß... meistens ist es andersrum). Wer von euch in Regelungstechnik oder Signalverarbeitung aufgepasst hat, wird eine
"Sprungfunktion" kennen. Das ist ziemlich nah dran.

Im Prinzip hätte ich mich einfach daneben stellen und den Möbelpackern bei der Arbeit zusehen können. Gelegentliches Anfeuern kommt sicher auch immer gut an. Ganz wie ein Feldherr hätte ich mich irgendwo an strategisch günstiger Stelle postiert, um von dort meinen Truppen per Fingerzeig zu befehlen, dieses Teil einzulagern, jenes Teil in die Luftfracht zu packen und das andere da hinten
nicht anzurühren, weil es zur Wohnung und nicht mir gehört.  Als letztes hätten sie dann den Stuhl rausgetragen, auf den ich meinen müden Feldherrnhintern geparkt habe.

Tatsächlich habe ich natürlich beim Abbauen und Einpacken mitgeholfen und versucht, die drei Profis nicht allzu sehr durch meine gut gemeinten, aber insgesamt eher laienhaften Bemühungen aufzuhalten.

Ein Golf voller Müll. Nächster Halt: Müllhalde Watenbüttel
(Quelle: Eigene Aufnahme)
Die größte Hilfe für die drei bestand wohl vermutlich darin, dass ich einen Tag vor dem Umzug eine ganze Autoladung voll Gerümpel auf dem Abfallsammelplatz in Watenbüttel verklappt habe. Dieses Zeug musste immerhin nicht mehr eingepackt werden und geschleppt hab ich es auch selber. Man tut halt was man kann.

Kleine Anekdote am Rande: als ich in die Heliandstraße eingezogen bin, bestand mein GESAMTES Umzugsgut überhaupt nur aus zwei Autoladungen, die ich an einem Nachmittag vom Studentenwohnheim in die neue Wohnung brachte. Knapp sieben Jahre später hatte ich alleine eine Autoladung nur Müll und der Rest füllte einen 7,5-Tonner. Und: die Schnittmenge der zwei Autoladungen Umzugsgut aus dem Wohnheim und der einen Autoladung Müll aus der Heliandstraße war definitiv alles andere als leer. Im Grunde hätte ich damals mit einer Fuhre auskommen können und die zweite Ladung gleich im Wohnheim in den Müllschluckern versenken können. Aber das weiß man immer erst hinterher.

Jetzt wäre es eigentlich an der Zeit, das Hohe Lied auf meine Ex-Wohnung zu singen. Die ruhige Lage, dennoch umgeben von Infrastruktur wie Supermärkten, Post, Bäckereien und Tram-Haltestellen. Die Tatsache, dass ich meist direkt vor der Haustür einen Parkplatz fand, alle Wege - auch zur Arbeit und zum Sport - in wenigen Minuten mit dem Rad erledigen konnte. Dass ich innnerhalb kürzester im Grünen war. Dass die Miete über die gesamte Zeit konstant blieb und ich sogar Nebenkosten-Rückzahlungen bekam. Dass ich eine geräumige Eckwanne und eine super eingerichtete Küche hatte. Aber der Artikel ist auch so schon lang genug und ich will euch nicht mit sentimentalem Gewimmer langweilen. Ich bin mir nur sicher: solche eine Wohnung werde ich in New York nicht finden. Zumindest nicht innerhalb meiner finanziellen Möglichkeiten.

Also werde ich die Wohnung einfach in angenehmer Erinnerung behalten und schauen was New York für mich bereit hält. Ihr kennt ja meinen Standardspruch: "Alles wird gut!". In diesem Falle möchte ich anfügen: "Glaube ich.".

Ach so: Kleiner Nachtrag für alle, die vor ein paar Jahren an meinem 30. Geburtstag nach dem Fegen an der Sporthalle noch bei mir zuhause weiter gefeiert haben: ich habe beim Ausräumen der Wohnung noch Federnreste gefunden. Daher nochmals vielen Dank für das Geschenk samt Füllung.

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