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Sonntag, 17. Juli 2011

Erinnerungs-Müll

So langsam fängt die Sache an, emotional unangenehm zu werden. Bin gerade dabei, meine Wohnung auszumisten und etliches, was sich über die Jahre angesammelt hat, in den Rachen großer blauer Müllsäcke zu stopfen. Darunter auch viele für Außenstehende belanglose Kleinigkeiten, an denen eine Menge Erinnerungen hängen. So wird aus "Müll" ein "Erinnerungsstück" und nun, bei so einem großen Umzug, ein "Problemfall".

Ein paar Beispiele gefällig? Gerne:
  • Ein alter MP3-Discman:
    Braucht heute kein Mensch mehr. Wurde mir im Herbst 2002 von meinen Eltern für mein anstehendes Praktikum in China geschenkt. Ich sehe mich noch immer mit der Ding auf meinem Bett im Studentenwohnheim in Xi'an liegen und Musik hören. Besonders zwischen Weihnachen und Silvester 2002, als mich "Montezumas Rache" mit voller Wucht getroffen hatte (den Jahreswechsel 2002/2003 verbrachte ich auf dem Klo). Musik war damals das einzige, was einen ein wenig ablenken konnte: Fernsehen gabs nur auf chinesisch, die wenigen Bücher, die ich mitnehmen konnte, kannte ich mittlerweile auswendig, und Laptops mit Filmen waren noch nicht verbreitet. Internet hatten wir natürlich auch nicht auf unseren Zimmern. Ein finsteres Zeitalter. Etwas Licht brachte erst ein DVD-Player, den ich mir kurze Zeit später auf einem Ramschmarkt kaufte.
  • Eine kleine Flasche mit griechischem Schnaps:
    War ein Geschenk des Wirts auf der letzten Weihnachtsfeier mit meinem alten Badmintonverein in Bramsche. Die Flasche schleppe ich nun schon fast 15 Jahre mit mir rum bzw. hatte sie bei meinen Eltern im Zwischenlager. Der Inhalt ist sicher längst ungenießbar. Aber trotzdem erinnert sie mich noch immer an meinen alten Verein und die lustige Truppe, die wir dort hatten.
  • Alte Urkunden von "Internen Uni-Meisterschaften" (IUM):
    Sind sportlich mal ziemlich genau gar nichts wert. Aber darauf ist (leider ohne Datum) vermerkt, dass so legendäre Doppelpaarungen wie "Volker & Ulf" oder "Volker & Jan" öfter mal erste bis dritte Plätze errangen. Die Urkunden stehen stellvertretend für viele IUMs und Schleifchenturniere, auf denen toll gespielt und noch toller gefeiert wurde. Manchmal so lange, bis die anrückenden Putzfrauen die letzten Überlebenden morgens um halb sechs aus der Dusche vertrieben, wo wir uns unter lautem Absingen lustiger Lieder den Schweiß vom Körper spülten.
  • Eine Plastik-Sonnenbrille mit pinkem Rahmen:
    Willkommensgeschenk des ISBT Enschede an Silvester 2003. Mein erstes Turnier in Enschede. Und gleich ein Volltreffer. Ich erinnere mich noch lebhaft an Nina und ihre SULO-Tonne, meinen Sturz samt Schultereckgelenksprengung und den zugehörigen Abend in der Notaufnahme des Krankenhauses, ebenfalls komplett in pink und betreut von Nina. 
  • Eine leere Dose Energydrink:
    Relikt einer Rückfahrt von einem Turnier im norwegischen Tønsberg im Sommer 2006. Hat mich morgens um vier irgendwo zwischen Hamburg und Hannover vor einem Schlafanfall am Steuer gerettet. Verabreicht wurde mir die Dose von "Bunt" (Eingeweihte wissen bescheid), mit dem ich eine legendäre Rückfahrt hatte. Als Stichworte seien hier nur Fähre, Restalkohol, McDonald's, Kreisel, Knoblauchsalami und "Bester Beifahrer aller Zeiten" genannt. Sagt euch nichts? Egal. Ich denke jedes Mal daran, wenn ich die leere Dose auf dem Küchenschrank stehen sehe. Dass die Energydrink-Dose wie eine Batterie aufgemacht ist, sei hier nur als lustiges Detail am Rande erwähnt...
    In die gleiche Kategorie fällt übrigens auch ein Bastrock samt Blumenkränzen, der auf dem Turnier als Team(ver)kleidung diente und nun wohl künftig auf einer Müllhalde von besseren Zeiten träumen wird. Das zugehörige mit Teamlogo bedruckte Hawaiihemd wird es übrigens ins Lager schaffen und so noch ein wenig weiterleben.
Von solchen Gegenständen sind mir gestern und heute Dutzende in die Hände gefallen. Von alten Aufzeichnungen (z. B. aus Unizeiten) und Büchern mal ganz zu schweigen. Von drei Stunden aufräumen im Keller ging ca. eine Stunde für Blättern und Lesen drauf...

Nun werden die meisten einwenden: "Warum macht er so ein Gewese um ein paar alte Urkunden und eine leere Dose? Sind solche Banalitäten wirklich einen eigenen Artikel wert?". Finde ich schon. Denn zusammen mit dem Wegschmeißen kommt so langsam auch die Erkenntnis, dass der mit diesen Dingen und Erinnerungen verbundene Lebensabschnitt nun endgültig vorbei ist und ein neuer beginnt.

Auch wenn ich in drei Jahren wieder nach Braunschweig zurückkehre (wovon ich momentan ausgehe), werden sich die Stadt, mein Umfeld und wahrscheinlich auch ich selbst verändert haben. Die "wilden Jahre" in Braunschweig, die vor allem durch das Studium und die ersten Berufsjahre beim DLR geprägt waren, liegen nun endgültig hinter mir. Unterbewusst war mir dieser Lebensabschnittswechsel natürlich schon länger klar, zumal es um mich herum in letzter Zeit schon deutlich "weniger wild" als noch vor drei, vier Jahren zuging. Nicht zuletzt haben auch viele Freunde und Kommilitonen Braunschweig inzwischen verlassen und sich über Deutschland und die Welt verstreut.

Nun wird also aus dieser unterbewussten Ahnung Gewissheit. Gewissheit, die sich in dem Umzugs-LKW manifestiert, in den am Dienstag meine Sachen eingeräumt werden. Gewissheit, die ich am Donnerstag in Form eines Flugtickets mit Ziel New York JFK in den Händen halten werde.

Ich finde, da darf man beim Wegschmeißen einer leeren Energydrink-Dose schonmal heimlich ein Tränchen wegdrücken.

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