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Samstag, 9. Juli 2011

Herr General ziehen aus

Einige von euch wissen es ja schon, anderen sei es hiermit verraten: ich habe all die Jahre nicht alleine in meiner Wohnung gelebt. Kurz nach meinem Einzug nahm ich noch einen Mitbewohner auf und zwar ohne meinem Vermieter davon zu erzählen. Aber da mein WG-Kumpel in Sachen Nebenkosten sehr genügsam ist, dürfte es meinen Vermieter nicht weiter gestört haben.
Kennengelernt habe ich den Herrn während meines Praktikums in Xi'an. Xi'an ist die ehemalige Hauptstadt des chinesischen Kaiserreichs und einer ihrer Kaiser -- Qin Shihuangdis -- hat seine Grabstätte in der Nähe von Xi'an mit einer prächtigen Terrakottaarmee ausgestattet, die seit den siebziger Jahren in mühevoller Kleinarbeit aus dem Boden geholt wird.

Wiederaufgebaute Terrakottaarmee bei Xi'an
(Quelle: Wikimedia Commons, Richard Chambers, CC-BY-SA)
Die Krieger waren dazu gedacht, ihren Herrn über seinen Tod hinaus zu bewachen. Außerdem waren sie nach heutigen Maßstäben eine verdammt humane Erfindung, weil man vorher einfach komplette Armeeteile getötet und zusammen mit dem Kaiser bestattet hat. So gesehen hat die Erfindung der Terrakottakrieger in weiten Teilen der chinesischen Armee sicher einigen Applaus ausgelöst.

Und auch gut 2200 Jahre nach ihrer Herstellung sorgen die Krieger noch immer für Spiel, Spaß und Spannung: die vielen tausend lebensgroßen Figuren sind nämlich nicht intakt erhalten, sondern haben sich im Laufe der Zeit durch Erdbeben und einstürzende Grabwände in ein gigantisches Puzzle zerlegt, dessen Teilezahl gewiss in die Millionen geht und das Archäologen seit gut 40 Jahren bei Laune hält.

Mein MItbewohner und Bewacher
(Quelle: Eigene Aufnahme)
Tja, und mit einem dieser Krieger, einem General, habe ich mich im Februar 2003 vor Ort angefreundet und als ich im Herbst 2004 in meine Wohnung gezogen bin, ist er wenige Wochen später bei mir eingezogen. Seitdem steht er trutzig in meinem Wohnzimmer, die Hände auf sein nicht mehr vorhandenes Schwert gestützt, und bewacht meinen Schlaf wenn ich mal wieder vor dem Fernseher einnicke. Zur Unterstützung kniet neben ihm ein Bogenschütze, um Eindringlinge aus der Distanz sofort nach Betreten der Wohnung in die Schranken zu weisen.

Dass man dem Kerlchen seine gut 2000 Jahre gar nicht so ansieht, liegt neben der guten Pflege, die er bei mir bekommt, natürlich daran, dass es keine Originalfigur ist, sondern nur eine Nachbildung. Die Nachbildung ist aber sehr detailgetreu und mit ihren ca. 1,80 m Höhe auch genauso groß wie ihre Vorbilder.

Wegen meines Umzugs nach New York habe ich in den letzten Wochen oft nächtelange Diskussionen mit ihm geführt und ihm dabei die Vorzüge New Yorks in den schillernsten Farben ausgemalt. Allerdings hat sich der Herr General als eine Mischung aus Dickkopf und Spießer erwiesen und bockbeinig darauf bestanden, in Braunschweig zu bleiben.

Na gut.

Er wird es nun über sich ergehen lassen müssen, dass ihm in wenigen Tagen ein paar grobe Hände, die sonst Waschmaschinen in den zehnten Stock wuppen, an den zarten Terrakottakörper gehen, ihm einen Holzverschlag bauen und ihn darin auf ein Lager von Styroporflocken betten. Dann wird ihn eine dreijährige Dunkelheit umfangen während der er einsam in irgendeinem Lagerhaus im weiteren Braunschweiger Umland vor sich hindämmert. Wenn er sich beklagt, kann ich nur sagen: er hat es so gewollt!

Ich für meinen Teil bin jedenfalls froh, dass ich mich in Sachen Transport um nicht kümmern muss. Offen gestanden ist der Kollege nämlich ein bisschen unhandlich. Sein Gewicht schätze ich auf deutlich über 100 kg und so richtig zu packen kriegt man ihn nirgendwo, weil er schlicht und einfach keine Griffe am Mantel hat. Und ihn nur am Kopf und an den Füßen zu tragen könnte ihn in der Mitte zerbrechen lassen. Das Aufstellen hat damals der Hilfe eines durchaus kräftigen Kommilitonen bedurft, mit dem ich es so gerade eben hinbekommen habe. Als Trost bleibt nur, dass er während des Transports eigentlich ganz gut kooperiert hat und nicht zwischendrin anfing, wild rumzuzappeln...


Die Brüder meines Generals im Hof der Firma nahe Xi'ans, in der die Terrakottakrieger hergestellt werden.
(Quelle: Eigene Aufnahme)

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